Revolutionen im Rettungsdienst erlebt
„Es gibt nicht viele Kollegen, die so lange im Beruf waren“, sagt Klaus Aldinger, der nach 43 Jahren endgültig den Rettungswagen verlässt und in Rente geht. „Es ist unglaublich, was sich in den Jahren beim Rettungsdienst getan hat. Veränderungen in Kompetenz, Arbeitsweise und Verantwortung könnte man in dieser langen Zeit als Revolutionen bezeichnen“, sagt der Rettungsassistent, der zurückblickt.
„Hinfahren, einladen, wegfahren“
Seit 1979 arbeitete Klaus Aldinger beim Deutschen Roten Kreuz im Rems-Murr-Kreis im Rettungsdienst. Angefangen hat er in Waiblingen im ehemaligen Felsenkeller als Zivildienstleistender. Später war er als verantwortlicher Rettungswachen-Leiter in Fellbach tätig. Beträgt die Ausbildungszeit zum Notfallsanitäter aktuell drei Jahre, waren für die damaligen Anforderungen einige Wochen Theorie und Praxis ausreichend, berichtet der 64-Jährige. „Hinfahren, einladen, wegfahren“ standen noch im Mittelpunkt. Der Notarzt war erst ab 1980 unterstützend im Einsatz. „Die 112 gab es nur für die Feuerwehr und wurde erst später auch für medizinische Notfälle genutzt.“ Der Rettungsassistent bildete sich stets fort und arbeitete bis zuletzt im Schichtdienst auch mit Sonntags- und Nachtarbeit. „Da musste die Familie oft zurückstehen und so manche Feier fand ohne mich statt.“
„Die Technik macht alles leichter"
Ein Opel Blitz sowie ein Daimler-Benz waren die ersten Rettungswagen, erinnert sich Klaus Aldinger, „das war einfachste Technik, mit Vier-Gang-Getriebe und Benzinmotor, der 25 Liter auf 100 Kilometern“ benötigte. Heute könne man mit Abstrichen von einer rollenden Intensivstation sprechen. Fahrzeug, Ausrüstung und Medizintechnik: Klaus Aldinger spricht von Revolutionen. „Heute können wir sofort die Vitalparameter erfassen: Atem- und Kreislaufwerte, Blutzucker, Sauerstoffsättigung etc. ist Standard. Die technische Ausstattung ist heute top – und es geht immer weiter!“ Die Alarmierung geschieht heute digital, Einsatzort und Einsatzgrund erscheinen auf dem komponierten Display. Vitalwerte werden überspielt, Patienten erhalten ein Übergabeprotokoll, zusätzlich zur strukturierten verbalen Übergabe im Krankenhaus. „Die Technik macht alles leichter, aber man muss auch mit der Technik klarkommen, sie immer hinterfragen und sich trotzdem auf seine Sinne verlassen.“
Auch psychologische Hilfen für die Retter und eine seelsorgerische Unterstützung wurden eingerichtet
Heutzutage rückt ein Rettungswagen mit zwei bestens ausgebildeten Rettern aus. „Damals musste man sich mit technisch einfachsten Geräten behelfen und hat eher anhand des Erfragens der Symptome eine Diagnose gestellt“, sagt Aldinger. Entsprachen die Symptome einem Krankheitsbild wurde entsprechend gehandelt. Wie ist der Puls? Ist die Hand warm, kalt oder schweißig? Atmet der Patient? Liegt eine Sprachstörung vor? Heute gebe es viel mehr hochwertige medizinische Ausrüstung. Dies helfe bei der Diagnose, bei der Erstversorgung und beim Monitoring der Patienten auf dem Weg zum Krankenhaus. Fahrtrage, Tragestuhl, Rücksäcke und elektrische Trageeinzugshilfe: Der technische Fortschritt reduzierte die physische Belastung der Mitarbeiter deutlich. Auch psychologische Hilfen für die Retter und eine seelsorgerische Unterstützung wurden eingerichtet, insbesondere nach den Erfahrungen des Amoklaufes in Winnenden. Im Alltag tausche man sich bei der Schichtübergabe aus, rede über Einsätze, wie es abgelaufen sei und was sie besser machen könnten. „Dabei lernt man viel: Die Jungen von den Alten und die Alten von den Jungen. Eine gewisse Abgeklärtheit und Ruhe im Einsatz kann man auch vermitteln.“
"Das Niveau der Notfallsanitäterinnen und Notfallsanitäter ist heute sehr hoch"
Mit jedem Jahr steigere sich die Erfahrung und Routine. „Das Niveau der Notfallsanitäterinnen und Notfallsanitäter ist heute sehr hoch.“ Früher waren Frauen im Rettungsdienst die absolute Ausnahme. Auch dies hat sich angeglichen. Es gebe zwar einen Männerüberhang aber die Frauenquote ging in den vergangenen Jahren steil nach oben. „Das ist eine echte Bereicherung – für uns als Rettungsdienst-Team aber auch für die Patienten“, sagt Aldinger. „Der Beruf wurde mit den Jahrzehnten enorm aufgewertet. Der Rettungsdienst hat heute eine top Qualität und eine ganz andere Stellung im Gesundheitssystem.“
Wie erlebte der 64-Jährige die Corona-Pandemie? „Jeder musste lernen, mit dieser neuen Situation klarzukommen. Infektionskrankheiten und Hygienemaßnahmen habe es jedoch immer gegeben. „Diese Pandemie hat aber eine besondere Qualität.“ Patienten unterschätzten den Ernst der Lage und setzten zu spät den Notruf ab. Auch junge Menschen seien trotz Reanimation gestorben. „Wir haben Sachen erlebt, die wir so nicht kannten.“
Fast alle, ob reich oder arm, haben irgendwann ein medizinisches Problem
Klaus Aldinger ist dankbar, dass er gesund aus dem anspruchsvollen Beruf ausscheidet. Sein vielseitiges Sportprogramm habe sich ausgezahlt. „Körperliche Fitness ist wichtig. Wenn man bewusst durchs Leben geht, schafft man es bis zur Rente. Aber man muss etwas dafür tun!“ Sein Fazit: „Es waren tolle Jahre in einem abwechslungsreichen und tollen Beruf mit Medizin, Verantwortung und auch Action. Es gibt Herausforderungen und Probleme, die man lösen muss und du erlebst die Bandbreite der Gesellschaft, denn fast alle, ob reich oder arm, haben irgendwann ein medizinisches Problem.“