„Wir haben gelernt, kurz vor der Tür innezuhalten"
„Wir bleiben da und halten aus“, sagt sie über ihr Engagement und den Einsatz von knapp 25 Ehrenamtlichen vom DRK, die im Rems-Murr-Kreisdie Psychosoziale Notfallversorgung anbieten und von der Polizei oder vom Rettungsdienst über die Integrierte Leitstelle in gewissen Fällen mitalarmiert werden. Hieber hat eine umfangreiche Ausbildung durchlaufen. Psychologie, Theorie, Fallbeispiele, Hospitanz, Praxis, Prüfung. Auch wie eine Leiche aussieht, erlebte sie recht schnell. Seit einiger Zeit spricht sie über den Tod, steht den Angehörigen zur Seite. Es kommen immer zwei Helfer, erklärt sie: Ein Notfallseelsorger, beispielsweise ein Pfarrer, und ein Mitglied des PSNV des DRK. Sie habe damals seltsame Fragen gestellt, nun versucht sie, auf ebendiese Antworten zu geben. Sie hört zu, schweigt, ist da. „Wir sprechen nicht ununterbrochen.“ Nicht immer kennt sie die Antworten. Warum sich der 22-jährige Sohn umgebracht hat? Wer weiß das? Aber sie weiß, dass die Kripo im Anschluss das Zimmer durchsucht, nach einem Abschiedsbrief schaut. Mit diesem konkreten Einsatz, den sie selbst durchlitten und erlebt hat, unterstützt sie nun fremde Menschen.
Manche Besuche dauern 15 Minuten. Andere Stunden. Sie leisteten lediglich Akuthilfe, seien keine Trauergruppe. Der Dienst wird 24 Stunden an sieben Tagen angeboten. Täglich hat ein anderer Mitarbeiter Melderdienst. Per Smartphone sprechen sie sich ab, wer zum Einsatz gehen kann. „Wir haben gelernt, kurz vor der Tür innezuhalten“, sagt sie. „Was uns hinter der Tür erwartet, wissen wir nicht. Wir machen, was wir gelernt haben und lernen aus Erfahrungen.“ Über das Wetter redeten sie mit den Angehörigen nicht. „Wir sprechen das Thema Tod an“. Sie versuchen zu helfen, einzuordnen, zu erklären, mitunter auch Kindern, die einen Elternteil verloren haben: Kommt Mama dann in ein Loch, fragte mal ein Kind? Die Mama werde schön angezogen und das Grab mit vielen Blumen geschmückt. Und das Kind könne der Mama einen Abschiedsbrief schreiben, hätte sie das Kind zu trösten versucht.
Was müssen Menschen für diesen Einsatz mitbringen? Empathie, natürlich. „Wir sind keiner Besserwisser. Jeder trauert anders“. Sie helfen, geben Tipps, sensibilisieren, weisen auf andere Formen der Trauerbewältigung und Hilfsangebote hin. „Es hinterlässt eine tiefe Befriedigung, wenn sie Menschen in dieser furchtbaren Situation für ein paar Stunden helfen können. Dann greift irgendwann der Familien- und Freundeskreis.“ Wer zügig den Bestatter anrufen will, müsse wissen, dass es dann schnell hektisch wird. „Und das endgültige Mitnehmen ist furchtbar.“ Bis zu 120 Einsätze haben sie im Jahr. „Unsere Arbeit ist ein Angebot“. Zum Abschluss hinterlassen sie eine Visitenkarte mit nützlichen Nummern. „Wir gehen, wenn wir glauben, dass die Angehörigen gut aufgehoben sind“. Und die Helfer? Wer hilft ihnen nach derlei Einsätzen? Es gebe Dienstabende, wo sie sich treffen und reden. Und nach jedem Einsatz tausche sich das Tandem aus Psychosozialer Notfallversorgung und Seelsorger aus. Ist es anstrengend? Sigrid Hieber überlegt. „Mein Glück verdanke ich vielen Umständen – aber auch dem PSNV.“ Sie versuche den Menschen Rat, Kraft und Stärke zu geben. „Mich erdet das. Und ich habe das Gefühl, ich werde gebraucht.“
Info:
Die Psychosoziale Notfallversorgung, auch Notfallnachsorgedienst genannt, richtet sich an zwei Zielgruppen: Betroffene, Hinterbliebene, Überlebende, Angehörige, Zeugen und Ersthelfer sowie Einsatzkräfte. Es ist ein Angebot zur in der Regel einmaligen kompetenten, kurzfristigen und ereignisnahen Begleitung und Betreuung von Menschen in akuten Krisensituationen, während und nach belastenden Ereignissen. Für Einsatzkräfte soll das Angebot die psychische Stabilität und Einsatzfähigkeit vor und während des Einsatzes sicherstellen, beziehungsweise zur Wiedererlangung der Einsatzfähigkeit nach einem Einsatz beitragen.