Patient schlägt gezielt Notfallsanitäterin

Ein Patient schlägt einer Notfallsanitäterin unvermittelt und gezielt ins Gesicht, während sie ihn behandelt. Derlei körperliche Angriffe kannten die Helfer im Kreis bisher nicht, stellt Rettungsdienstleiter Marco Flittner vom Roten Kreuz Rems-Murr fest, wobei die verbale Gewalt seit Jahren zunehme – und mit ihr auch die Frustration der Helfer. Der aktuelle Vorfall sorgt bei den Rettern für Bestürzung. „Das ist Neuland“, so Marco Flittner, der von einem Dilemma spricht.

Vor knapp zwei Wochen schlug ein 48-Jähriger einer Notfallsanitätern ins Gesicht, als sie ihn gemeinsam mit ihrem Kollegen auf der Trage behandeln wollte. Dem eingesetzten Team der DRK-Notfallrettung war es wichtig, den Patienten schnellstmöglich vor den Blicken umstehender zu schützen, woraufhin die Entscheidung für einen Transport in den Rettungswagen fiel. Der Alkoholisierte hatte sich zuvor bei einem Sturz verletzt. Ein Bekannter wählte die 112. „Der Einsatz verlief zunächst gut, dann kam es zur unerwarteten Eskalation. Der Patient hat den Schlag unvermittelt und ohne Vorankündigung ausgeführt. Ein zweiter Schlag traf die Notfallsanitäterin zum Glück nicht“, beschreibt Marco Flittner den Vorfall, bei dem die Notfallsanitäterin verletzt wurde. Die Helfer alarmierten daraufhin die Polizei.

An Beschimpfungen haben sich die Helfer des DRK mittlerweile gewöhnt, stellt Flittner lakonisch fest. „Unsere Mitarbeiter haben ein gewisses Schutzschild aufgebaut“, resultierend aus Erfahrungen und Erlebnissen im Alltag. Oft, aber nicht immer, seien es Alkohol und Drogen, die die Hemmschwelle sinken lassen. Doch Flittner betont: „Alkohol entschuldigt nicht alles.“ Auch nicht im aktuellen Fall.

„Das war keine Rangelei“, wie sie die Mitarbeiter des Rettungsdienstes und des Krankentransportes mitunter bei Einsätzen erleben, „das war ein gezielter Schlag“, so Flittner. Das stelle eine neue Qualität der Gewalt dar, die das DRK im Rems-Murr-Kreis bisher nicht kannte. Unvorbereitet ist das Rote Kreuz im Kreis darauf nicht.

Das erste Deeskalationstraining für die Mitarbeiter des DRK-Rettungsdienstes fand bereits 2008 zusammen mit den Einsatztrainern der Polizei statt. Aktuell ist es ein Inhalt des Fortbildungsprogramms, das sehr nachgefragt ist. Aus Sicht der Rettungsdienstleitung ist dieses Angebot notwendig. Das lehren Vergangenheit und vor allem auch Gegenwart.

Die Notfallsanitäterin hat bereits Anzeige erstattet. Auch Beleidigungen werden mitunter von Mitarbeitern zur Anzeige gebracht. Doch nicht nur weil derlei Anzeigen wegen Beleidigung „meistens im Sande verlaufen“, wie Flittner weiß, steigt beim DRK die Frustration.

Wenn wir Distanz aufbauen, können wir keinen Einsatz mehr leisten

„Wie können sich unsere Mitarbeiter vor einem unvorhergesehenen Angriff schützen?“, fragt der Rettungsdienstleiter und führt aus: Um helfen zu können – und auch um möglichen Gaffern die Sicht zu nehmen – gibt es kaum eine Distanz zwischen Rettern und Patient. „Und hier lauert die Gefahr“, hält Flittner fest „und der Widerspruch zugleich“. Wer helfen will, Helfen zu seinem Beruf gemacht hat – und dies aus Überzeugung, betont Flittner – der rechnet während einer Patientenversorgung nicht mit einem Schlag. Doch weil Beleidigungen und das Aggressionspotential von Patienten zugenommen haben, deutschlandweit Polizisten und Rettungskräfte häufiger Opfer von Übergriffen werden, entsteht ein Gefühl, im Einsatz einem steigenden Risiko ausgesetzt zu sein. „Die Helfer werden vorsichtiger“, beobachtet Flittner eine allgemeine Entwicklung. „Doch Empathie und Nähe zum Patienten sind die Basis jeder Hilfeleistung. Wenn wir eine Distanz aufbauen, können wir keinen Einsatz mehr leisten.“ Eine Dienstanweisung, keine Angst zu haben, kein Misstrauen zu spüren, könne man eben nicht ausstellen.

Gegen Beschimpfungen entwickle man ein dickes Fell – was ebenfalls kein gutes Licht auf gesellschaftliche Veränderungen werfe. Doch vor unvorhergesehener körperlicher Gewalt könnten sich die Retter nicht schützen, so Marco Flittner. „Das ist kein gutes Gefühl“. Doch er betont: „Seit vielen Jahren ist dies der erste Fall, in dem eine Einsatzkraft des Rettungsdienstes durch gezielte körperliche Gewalt verletzt wurde. Das kannten wir bisher nicht“. Daher werde man weiterhin auf Deeskalationstraining und auch Selbstverteidigung setzen und entsprechende Einheiten gegebenenfalls ausbauen.

„Wie könne man Täter, wie den 48-Jährigen erreichen, fragt sich Marco Flittner. Über eine Kampagne? Über die berechtige Forderung nach mehr Respekt? Nicht nur der Rettungsdienstleiter hat so seine Zweifel. Und so wird der Faustschlag gegen eine Kollegin weiterhin Thema bei den rund 120 Mitarbeitern des DRK-Rettungsdienstes und den vielen ehrenamtlichen Helfern sein.

In Zukunft werden sie noch mehr darauf achten, während ihrer Einsätze nicht Opfer von Gewalt zu werden und dennoch die Patientenversorgung im Kreis auf ihrem sehr hohen Niveau zu halten. Doch das Misstrauen ist nach diesem Angriff gestiegen. „Unsere Mitarbeiter werden sich hinterfragen, wie sie zukünftig in solchen Situationen handeln werden“, stellt DRK-Kreisgeschäftsführer Sven Knödler fest, „denn mit diesem Vorfall wurde eine Grenze überschritten. Ich bin entsetzt und empört“. Die Notfallsanitäterin musste nach dem Angriff im Krankenhaus versorgt werden. Der 48-Jährige wütete währenddessen weiter.

Info:

Liegt während eines Einsatzes eine akute Bedrohungslage vor, kann über die Leitstelle die Polizei gerufen werden. Bei Einsätzen wie „Verletzte nach Schlägerei“ wird sie mitalarmiert. Bei einem Häuserbrand betreten die Rettungskräfte erst nach der Feuerwehr ein Gebäude und helfen bei akuter Gefahrenlage erst nach Eintreffen der Polizei.  „Der Eigenschutz unserer Mitarbeiter geht immer vor“, hält DRK-Kreisgeschäftsführer Sven Knödler fest.