Jungen Rettern viel abverlangen, viel zutrauen und viel beibringen
Erneut bildet das DRK Rems-Murr zwölf junge Menschen zu Notfallsanitätern aus. Oft sitzen sie nun in der Landesschule, wo sie Theorie pauken. Meistens sitzen sie im Rettungswagen, wo sie die Praxis kennenlernen, den Ernstfall erleben und meistern. Zeitweilig machen sie Praktika in den Kliniken. Nach drei intensiven Jahren werden sie 2022 selbst Einsätze leiten, Menschenleben retten und eigene Strategien entwickeln, um Einsätze zu einem erfolgreichen Ende zu bringen. Das Rote Kreuz im Kreis bereitet sie darauf vor.
„Gerüche, Temperatur, Wetter, Lärm.“
„Es läuft nicht immer so, wie man das in der Schule gelernt hat“. Das hat Clarissa Schmalzried in den ersten Wochen festgestellt. Die Realität bietet enge Treppenhäuser, aufgeregte Angehörige und andere Faktoren. Ausbildungsleiter Steffen Schwendemann ergänzt: „Gerüche, Temperatur, Wetter, Lärm.“ Diese Erfahrungen könne ein Simulationstraining nicht ermöglichen. Wenn ein Kind oder Säugling Hilfe braucht, werde die Situation noch extremer. Das wissen die zwölf jungen Menschen. Und das reizt sie.
Wie wird man ein guter Sanitäter? Eben genau aus dieser Mischung: Schulbuchwissen, das im Retter-Alltag angewendet und auf die Probe gestellt wird. Je nach Einsatzlage ermöglichen es erprobte Kolleginnen und Kollegen den jungen Leuten, unter ihrer sicheren Aufsicht früh Patienten zu behandeln, sofern rechtlich möglich und dem Ausbildungsstand entsprechend. Danach wird der Einsatz besprochen: Was lief gut und was nicht. Manche erfahrenen Kräfte sind geniale Dozenten, zählen die jungen Leute auf. Die können berichten und erklären. Bei anderen lohnt es sich, ihnen einfach über die Schulter zu schauen, die Kommunikation zwischen Patienten und Notfallsanitäter zu beobachten, das sei enorm lehrreich, sagt Robert Blum. „Wir sind motiviert und haben Lust“. Sie wiederholen Abläufe, wenden Gelerntes an und verfestigen ihr Wissen. Erfahrene Kolleginnen und Kollegen, vor allem auch die speziell ausgebildeten Praxisanleiter, vermitteln eine enorme Fülle an verschiedenen Talenten und Fertigkeiten: Auftreten, Wissen, Kompetenz, Umgang mit den Patienten: Das schaue man sich ab und übernehme viel, sagen die Azubis.
Wichtig sei es, besonders nach schwierigen Einsätzen mit Kollegen zu sprechen. „Es gibt schlimme Einsätze“, sagt Clarissa Schmalzried. Darum werde deutlich gemacht, professionelle Angebote bei Bedarf wahrzunehmen, Stichwort Psychosoziale Notfallnachsorge, die sich ja nicht nur an Patienten oder Angehörige, sondern eben auch an Einsatzkräfte richtet.
Manche Patienten haben bloß Wadenkrämpfe
Wie ist die Wertschätzung, die sie für ihren Einsatz erfahren? Unterschiedlich, wissen die Azubis, von denen die meisten Erfahrungen aus einer freiwilligen Tätigkeit im Rettungsdienst mitbringen. Die Anspruchshaltung der Bürger sei gestiegen, das bestätigt Steffen Schwendemann. Angeblich schwer verletzte Personen kämen einem mit Koffer entgegen, verlangten in ein bestimmtes Krankenhaus gebracht zu werden. Andere wollen gar nicht ins Krankenhaus, sondern schnell eine Spritze oder hätten bloß Wadenkrämpfe. Oft müssten sie zu Fällen ausrücken, die eher etwas für den kassenärztlichen Notfalldienst seien. Im schlimmsten Fall würden so Kapazitäten für die wirklich lebensbedrohlichen Einsätze blockiert. Aber es gebe auch Menschen mit großen Schmerzen, die sich rechtfertigen würden, dass sie nachts einen Rettungswagen benötigten.
Wie sieht das mit Nachtschichten und Arbeitszeiten an Weihnachten oder Silvester aus? Steffen Schwendemann nutzt den Galgenhumor, den fast alle im Laufe der Berufsjahre entwickeln würden: Sie könnten Feierabend machen, wenn andere erst beginnen. „Wir machen den Job gerne“, sagt Clarissa Schmalzried, also nehme man auch ein paar Nachtschichten am Stück in Kauf. Der angehende Notfallsanitäter Nils Mürdter hat im vergangenen Jahr als ehrenamtlicher Helfer im Rettungsdienst „eine schlaflose Silvesternacht“ erlebt. Sie seien durchgefahren. Zwölf Stunden pausenlos im Einsatz. „Es gehört dazu, zu arbeiten, wenn Freunde feiern“. Aber sie müssten auch nicht jedes Jahr an allen Feiertagen arbeiten.
„Nicht jede Reanimation endet erfolgreich.“
Wie gehen sie mit Stress um? Wenn nach anstrengenden Nachtschichten mit Schwerverletzten kurz vor Ende noch ein Einsatz ansteht, spürten die Patienten den Stress mitunter schon. Aber auch hier helfe Erfahrung und Routine, weiß Schwendemann. Wie sieht eine Standardwoche im Rettungsdienst aus? 45 Stunden Arbeiten, mal deutlich mehr und auch mal weniger, verteilt auf knapp vier Tage im Schnitt. Viele Nachtschichten, viele Wechsel: Das seien Faktoren, die auch die Gesundheit betreffen. Hinzukommt: „Nicht jede Reanimation endet erfolgreich.“ Es gibt auch Einsätze, bei denen sie den Tod von Säuglingen feststellen müssten. Ein Beruf mit Licht und manchmal auch Schatten, so Schwendemann. „Wir bieten eine praxisnahe Ausbildung, in der man den Azubis viel beibringt, viel abverlangt und viel zutraut.“ Darum steht die Praxis ganz früh auf dem Lehrplan. Vor allem durch diese Einsätze mache man die Erfahrungen, die die jungen Leute zügig zu sehr guten Lebensrettern reifen lassen. Und das ist ihr Ziel: Den Menschen im Rems-Murr-Kreis zu helfen, Leben zu retten.
Notfallsanitäter ist die höchste Qualifikation im Rettungsdienst. Sie sind eigenverantwortlich für eine hochqualifizierte Patientenversorgung zuständig, übernehmen auch invasive Maßnahmen, wie beispielsweise das Legen von venösen Zugängen und das Verabreichen von Medikamenten. Einen Notarzt können sie dennoch jederzeit nachfordern. Notfallsanitäter dürfen unter Umständen im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit ärztliche Maßnahmen ausüben, wenn die jeweiligen ärztlichen Verantwortlichen des Rettungsdienstes vor Ort ihr Okay geben. Dies ist beim Roten Kreuz im Rems-Murr-Kreis der Fall.